Gerhard Bätz & Manfred Kiedorf
Am Anfang war die Langeweile
Im Alter von 14 bzw. 15 Jahren lernten sich Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf in der Berufsschule im thüringischen Sonneberg kennen. Dank ihrer zeichnerischen Begabung sollten beide eine Ausbildung zum Gebrauchswerber absolvieren. Dort saßen sie in einer Klasse für Verkäufer:innen der Handelsschule und mussten sich mit so spannenden Themen wie Rechnungsführung und Buchhaltung beschäftigen. Die damit verbundene Langeweile war die Geburtsstunde zum Spiel ihres Lebens.
- 1938 in Sonneberg geboren, Kinderstube war die »Farben- und Spielzeugindustriebedarfsartikelhandlung« von Oskar Bätz
- 1951 bis 1953 Lehre als Gebrauchswerber in Sonneberg
- 1955 bis 1959 in Erfurt und Weimar, Studien Malerei und Zeichnen bei Horst Jährling, Otto Paetz und Alfred Ahner, gelegentliche Arbeiten als Werbedekorateur in Thüringen
- 1960 Anstellung und Ausbildung als Restaurator am Deutschen Spielzeugmuseum Sonneberg
- 1975 Aufnahme in den Verband Bildender Künstler der DDR, Sektion Restaurierung und Kunsthandwerk
- 1977 und 1982 mit Miniaturen Beteiligung an der VIII. und IX. Kunstausstellung der DDR in Dresden, weitere Ausstellungen in Fürstenwalde, Berlin, Unterwellenborn etc.
- 1986 Ausbürgerung aus der DDR, Studienreisen nach Italien und Frankreich
- 1988 bis 2000 als Restaurator in Fulda tätig
- 1936 in Berlin geboren als Nachzügler zweier Geschwister, der Vater ein Postmeister
- 1949 Ausbildung als Werkzeugmacher
- 1951 bis 1953 Lehre als Gebrauchswerber in Sonneberg, 1955/56 gemeinsam mit Gerhard Bätz in Erfurt und Weimar
- 1956 bis 1960 Student im Studienfach »Bühnenbild« an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Heinrich Kilger
- 1960 als Bühnenbildner an der Staatsoper Unter den Linden Berlin
- 1961 bis 1965 Zeichner unter Hannes Hegen beim »Mosaik«, gelegentliche Arbeit als Pressezeichner (Satire)
- ab 1965 Arbeit für den Fernsehfunk Berlin-Adlershof, für das Maxim Gorki Theater und für die Volksbühne Berlin
- 1970 Aufnahme in den Verband Bildender Künstler der DDR
- ab 1973 freiberufliche Arbeit als Zeichner und Illustrator, Modellbauer für die DEFA, Museumsgestalter u.a. für das Museum für Deutsche Geschichte Berlin, das Postmuseum Berlin, Burg Falkenstein und für Schloss Branitz
- 2015 in Berlin am 1. Januar im Alter von 78 Jahren gestorben
Ausgangsmaterial für dieses Spiel waren ein paar simple Halmasteine, die sich unter der Schulbank zu Königen und Herzögen verwandelten. Bätz und Kiedorf erdachten sich eigene Königreiche, erfanden Namen für ihre Herrscher und stellten ganze Heere aus unterschiedlich bemalten Halmasteinen zusammen. Bereits in dieser Frühphase erfolgte die Fokussierung auf ein Weltbild, das dem »Goldenen Zeitalter« des Barock und speziell dem Rokoko nachempfunden war.
Es muss vor allem das Spiel mit Formen und Farben gewesen sein, das den Reiz für die beiden Jungen ausmachte. Im Gegensatz zu der sie umgebenden Mangelwirtschaft im »real existierenden Sozialismus« der DDR hatten Bätz und Kiedorf alle Möglichkeiten der grenzenlosen Prunkentfaltung. Zu Beginn arbeiteten sie noch mit einer gewissen Naivität an ihrem Vorhaben, da sie ja kaum über historische oder architekturgeschichtliche Kenntnisse verfügten. Dies änderte sich durch intensive Lektüre und Ausflüge zu Schlössern in der Umgebung, wobei die Rudolstädter Heidecksburg zu einem der Lieblingsschlösser erkoren wurde. Das Detailwissen über die bevorzugte Epoche wuchs beständig und bildete den Grundstock für die heute so beeindruckende Stilechtheit ihrer Bauten. Die können es in Glanz und Prunk durchaus mit den großen historischen Vorbildern aufnehmen, obwohl sie aus einfachsten Materialien wie Draht, Papier und Gips entstanden sind.
Doch ging es nicht allein um die Rekonstruktion einer idealisierten Epoche. Stattdessen formten sie um, kombinierten neu und kreierten ein ganz anderes akzentuiertes Bild, in dem historische Vorlage und kreative Zutaten sich verschmolzen. Das Ergebnis war etwas vollkommen Selbstständiges. Denn die eigentliche Bedeutung lag weniger im pompösen Erscheinungsbild der Schlösser, als in ihrer Funktion als Spielraum für erdachte Figuren. Im Gegensatz zu museal aufgearbeiteten Schlossmodellen waren ihre Paläste von hunderten Individuen mit Namen, Stammbaum und allen möglichen Marotten bewohnt.
Humor war und ist für Bätz und Kiedorf ein wichtiges Ausdrucksmittel. Indem sie den Charakteren ihrer Fantasiewelt witzige Namen gaben und auf sie alberne Reime dichteten, wurden diese bloßgestellt und sind dem gnadenlosen Gelächter des Betrachters ausgesetzt. Aber auch in der Architektur, die zunächst durch ihre monumentale Pracht besticht, wurde mit viel Witz ein Bruch in der formalen Strenge vorgenommen. Sei es durch überraschende Szenerien in ihrem Inneren oder durch das Einfügen von sonderbarem Skulpturenschmuck in dubiosen Räumlichkeiten.
Zum Verständnis des Gesamtkunstwerkes von Bätz und Kiedorf spielt ihr umfangreicher Briefwechsel eine zentrale Rolle. Seit sich im Jahre 1957 ihre Lebenswege trennten, belebten sie ihre gemeinsame Passion durch eine rege Korrespondenz. Diese schildert neben den alltäglichen Erlebnissen auch Entwicklungen in den erfundenen Königreichen und gibt Auskunft über Fortschritte in Materialverwendung bzw. Technik. Die über 2.500 Briefe befinden sich heute im Besitz des Thüringer Landesmuseum Heidecksburg. Sie bilden eine unerschöpfliche Informationsquelle über das Leben der Künstler und geben intimen Einblick in die Raffinesse ihrer Schöpfung.
1952|53 Gemeinsame Gründung der Miniaturkönigreiche Pelarien und Dyonien
1959 Krönung von Königin Cicilie von Pelarien
1961 Religionsgründung durch Philosoph Cäsar Bull
1961 Pezanisch wird als eigene Sprache für Kleriker eingeführt
1962 Das Maß 1:50 wird unter König Heinrich IX. von Dyonien eingeführt – daher später auch genannt »Heinrich der ganz Große«
1962 Geonardi II. folgt Peter III. von Pelarien auf den Thron
1963 Einführung der Centuszeitrechnung – ein Erdenjahr entsprechen etwa 50 Centusjahre
1965 In Dyonien tauchen erste Demokraten auf
1966 Krönung Geonardis V. von Pelarien am 05.02.
1966 600-jähriges Rutschjubiläum am 10.06.
1966 Heinrich XIV. von Dyonien erklärt am 20.12. Geonardi V. von Pelarien den Krieg
1970 Revolution in Dyonien | Gründung der Republik Jonesien
1970 Einmarsch pelarischer Regimente in Dyonien
1972 Geonardi VI. von Pelarien wird durch Herzog Lidento entthront
1973 Talari III. tritt am 10.01. die Regierung in Pelarien an und in Dyonien schafft der konservative König Richard endgültig die Demokratie ab
1978 Einführung der Deckungsgleichheit der Zeitmaße – Centuszeitrechnung wird endgültig aufgegeben
1987 Nach längerer Pause beginnt in Dyonien ein neuer Bauboom
1989 Auch in Pelarien wird nun wieder gebaut
1990 Beginn des »Goldenen Zeitalters« auf der gepriesenen Insel, alle kriegerischen Aktivitäten werden endgültig eingestellt
1994 Wanderprediger Bruder Holz Theer, Gruderich Theer taucht in Dyonien auf und verurteilt die mangelnde Achtung vor den Göttern (fordert Kapellen)
1994|95 Erste Ausstellung der Schlösserwelten im Deutschen Spielzeugmuseum Sonneberg, weitere Ausstellungen in ganz Deutschland folgen
1999 Vision der Schwester Grudemunde über den Ursprung des Grudeherdes
2000 Reinhild und Peter Schneider veröffentlichen die erste Publikation zum Thema im Kunstverlag Gotha
2004|05 Die Heidecksburg zeigt in einer Sonderausstellung »Rococo en miniature«
2006 Entscheidung: Die Schlösserwelten verbleiben endgültig auf der Heidecksburg
2007 Die Ausstellung wird in der Hofküche der Heidecksburg eröffnet
2010 Der 100.000 Besucher wird begrüßt
2018 Die Ausstellung wird um einen Raum und das Schloss Musenhof sowie ein Schlosstheater erweitert